APPELL AN DAS VOLK

 

Der traditionelle Gegensatz zwischen pays légal (das Land nach dem Gesetz) und pays réel (das eigentliche, wahre Land) gilt heute mehr denn je. Er ist ein guter Wegweiser, nach dem sich jede revolutionäre Aktion richten sollte, wenn sie echt sein will.

Das politische Personal, ob von links oder rechts, ist in Mißkredit geraten, ja sogar verachtet (in dieser Hinsicht sind die Meinungsumfragen sehr aufschlußreich, wie auch die Zahl der Stimmenthaltungen bei Wahlen). Vielen Menschen fallen die Schuppen von den Augen. Viele entdecken plötzlich, daß es eine Schwelle gibt, an der das Versagen und die Verantwortungslosigkeit gleichbedeutend sind mit Verrat an den elementarsten Belangen des Volkes. Da redet man plötzlich, wie einem der Schnabel gewachsen ist: Man hört zur Zeit Worte, die noch vor geringer Zeit undenkbar gewesen wären, auch über Themen, die bislang als heilige Kühe, als Tabus galten. So etwas ängstigt die Strippenzieher des Systems, die auf einmal realisieren, daß sich etwas ihrer Kontrolle entzieht, wo sie doch alles zu kontrollieren, alles zu meistern glaubten, und zwar durch alle möglichen Mittel, nicht zuletzt durch eine verstärkte Bürgerüberwachung...

Diesbezüglich ist die Entwicklung in der Agrarwelt aufschlußreich: Diese Welt wurde lange in die «richtigen» Kanäle gelenkt, von Pseudo-Gewerkschaftsführern entmannt, die oft aus der verhängnisvollen Jeunesse Agricole catholique (Katholische Bauernjugend) stammten, später in Mouvement Rural de Jeunesse Chrétienne (Christliche Jungbauernbewegung) umbenannt, eine wahre Brutstätte von systemkonformen, rückgratlosen Kadern, die lange vorgaben, sie hätten die Vertretung der Bauernwelt (u.a. über die FNSEA – französischer Bauernverband) für sich allein gepachtet, indem sie ein doppeltes Spiel trieben (s. auf Seite 4 «die verratene Bauernwelt»).

Heute allerdings schlägt der Wind um. Die Art und Weise, wie Präsident Hollande auf der jährlichen Pariser Agrarmesse empfangen wurde, zeigt, daß viele Bauern sich nicht mehr zum Narren halten lassen wollen. Hätten die Bürohengste in den Ministerien, oft Sprößlinge der Kaderschmiede ENA, auch nur einen Tag in ihrem Leben die Hände in den Dreck getaucht, dann wüßten sie vielleicht, daß die Bauern, die von ihren Vorfahren unendlich viel Geduld geerbt haben, am Ende doch ungehalten werden können. Dann sind die tollwütig gewordenen Hammel nicht mehr kontrollierbar. Wenn ein Mann nur noch die Wahl hat zwischen dem Bankrott und dem Erhängen, kann er sich nämlich eines dritten Weges besinnen: des befreienden Aufstands.

Doch laßt uns unser Gesichtsfeld ausweiten: Die anvisierte Reform des Arbeitsrechts (die in Wirklichkeit ein frontaler Angriff auf die Schutzrechte der Arbeiter ist, um den Wünschen des MEDEF, des französischen Unternehmerverbandes, entgegenzukommen) hat es fertiggebracht, ein Großteil der Produktivkräfte des Landes gegen sich zu vereinigen.

Dabei wiegt ein Faktum besonders schwer: Die Gewerkschaften sind sich der Erbitterung der Arbeiter (ob Gewerkschaftsmitglieder oder nicht) sehr wohl bewußt und müssen, wenn sie den Überblick behalten und nicht abgelehnt werden wollen, wohl oder übel mit dem Strom schwimmen und den Ärger mittragen.

Das erweitert die Palette unserer Möglichkeiten in hohem Maße: Es ist nämlich einleuchtend, daß ein Infragestellen dieses Systems ins Leere führen wird, wenn die Arbeiterwelt nicht am Großreinemachen beteiligt ist, das in allen Bereichen, auf allen Gebieten, nottut.

Hollande, der ein neuer Mitterrand werden wollte (doch dazu fehlt ihm das Format) wähnt noch, die subtilen Machenschaften des «Florentiners» könnten nachgeahmt, wiederholt werden. Dabei setzt er auf ein gewundenes Wahlkalkül (wobei er u.a. die Front National mit einschließt), um sich mit einem Balanceakt aus der Affäre zu ziehen. Doch wir wissen, daß im Ernstfall der Wahlzettel nichts nützt, weil er nicht helfen kann.

Das System als solches muß niedergeworfen werden. Diejenigen, die denken, man könne sich im System einrichten, während man vorgibt, das System «ändern» zu wollen, machen sich Illusionen – oder lügen wie gedruckt. Die Geschichte liefert uns wertvolle Lehren: Als man 1940 in Vichy vollmundig die «Nationale Revolution» verkündete, arbeiteten die Leute, die sich an diesem Schlagwort berauschten, in Wirklichkeit für den späteren Sieg der Angelsachsen – das heißt für etwas, das wir als den absoluten Feind betrachten.

Wenn ein neues Zeitalter hereinbrechen soll, dann durch das Hervorsprießen von Kräften aus dem Innersten unseres Volkes. Diese Kräfte werden sich aus Männern und Frauen zusammensetzen, die nicht im Namen oder im Dienste politischer Etiketts aktiv werden, sondern schlicht und einfach die Bedingungen ihres Überlebens erzwingen, indem sie Basisgruppen bilden, die jeder Herausforderung gewachsen sind. Links oder rechts des politischen Spektrums? Diese Etiketts haben jede Bedeutung verloren ; eine stets wachsende Zahl biederer Menschen wissen darum. Und diese Bewußtwerdung beginnt, Risse in die Paläste dieser verrotteten Republik zu schlagen...

Pierre VIAL

FaLang translation system by Faboba
 e
 
 
3 fonctions