Catégorie : Terre et Peuple Magazine n°78 - Hiver 2018

DER BRUCH

Die Leute, die heute noch (obwohl immer theoretischer...) am Schalthebel der Macht sitzen, haben offenbar nichts verstanden, oder aber wollen nichts verstehen: In ihrem Elfenbeinturm vor sich hinwerkelnd, scheinen sie zu glauben, man könne vom Elysée-Palast, vom Hotel Matignon* oder vom Beauveau-Platz** aus, verordnen, was die Franzosen wollen oder nicht wollen. Sie haben sogar die Chuzpe, die «Chaoten» (casseurs), also die Randalierer, die Rowdies, zu verurteilen (die ohnehin weitgehend von ganz speziellen Diensten manipuliert sind), während sie selbst es sind, die das französische Gemeinwesen kaputtmachen.

Seit Jahren kündigen wir diesen Bruch zwischen dem Land «nach dem Gesetz» (pays légal) und dem real existierenden Land (pays réel) an. Damals erklärten uns viele Leute, darunter auch manche, die uns nahestehen, mit erhobenem Zeigefinger, daß wir dabei pures Wunschdenken betrieben. Denn das Volk, so etwas existiere doch nicht, oder? Heute werden sie von den Fakten knallhart Lügen gestraft: Die Straßenrealität erlernt man schließlich nicht vor einem PC-Bildschirm.... Desgleichen mochten auch die gepuderten Aristokraten im goldenen Käfig von Versailles 1788 die Überzeugung gehegt haben, das Volk existiere gar nicht.....

Die Finanzoligarchie, die Macron auf seinen Posten gehievt hat, war schon immer davon überzeugt, sie könne sich egal was erlauben und den dummen Franzosen alles zumuten. Die geharnischte Antwort der «Gelben Warnwesten» veranschaulicht das berühmte Wort von Rivarol: «Wenn ein Volk den Respekt verliert, verweigert es den Gehorsam» (frei übersetzt!!).

Darüber schreibt der politische Philosoph Jean-Claude Michea mit Scharfsinn:

«Eine überaus zynische, gewissenlose Regierung, die offenbar bereit ist – und hier liegt der große Unterschied zu ihren Vorgängern – wie Pinochet in Chile (oder wie Maggie Thatcher mit den walisischen Bergleuten oder den irischen Hungerstreikern) bis zum Äußersten zu gehen, um seine «Wachstumsgesellschaft» und, als logische Folge davon, jenen antidemokratischen, heute überall wuchernden «juristischen Aktivismus», im Klartext: die Macht der Richter, aufzuzwingen. Und sie hat in dieser Hinsicht natürlich nichts, aber auch gar nichts zu befürchten seitens des kriecherischen französischen Medienpersonals..... Der Zorn der «da unten» läßt sich nicht mehr glätten, aus dem einfachen Grunde, daß «die da unten» nicht mehr können, nicht mehr wollen. Das Volk befindet sich also definitiv im Aufbruch! Das sollten sich die «Versailler»*** von links oder von rechts ins Stammbuch schreiben!»

Der normannische Philosoph Michel Onfray schlägt in die gleiche Kerbe:

«Angesichts dieses allgemeinen Auseinanderfallens der politischen und gewerkschaftlichen Welt, versteht man nur allzu gut, daß diese Leute, die wie Pech und Schwefel zueinander halten, diese etablierten Bonzen der Politik und des Gewerkschaftswesens, es niemals offen gestehen werden: Sie fürchten nun um die repräsentative Demokratie, in der sie wie Maden im Speck leben, weil die direkte Basisdemokratie, wie sie heute von den Gelben Warnwesten, gestern von den Bonnets rouges (rote Mützen) vertreten wird, die Berufspolitiker daran hindern würde, im Rampenlicht der Medien «für das Volk» zu reden, während sie gleichzeitig heimtückisch gegen das Volk handeln. Wie kann man denn die «Aussätzigen» aus der France périphérique (so heißen die ländlichen Regionen Frankreichs) bekämpfen? Indem man die Bewegung öffentlich derart madig macht, daß sie keine Zustimmung mehr bekommt».

Der Bruch zwischen dem «Land nach dem Gesetz» und dem «real existierenden Land» ist unüberbrückbar geworden. Die nahe Zukunft wird uns hierfür die Bestätigung liefern.....

PIERRE VIAL

 

* Sitz der Regierung und Amtswohnung des Premierministers in Paris.

** Sitz des Innenministeriums in Paris.

*** Anspielung auf den Namen, den die Anhänger der Pariser Kommune, die nach London geflüchtet waren, ihren Gegnern gegeben hatten.

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